Aus Daunderer-Klinische Toxikologie-33. Erg.-Lfg. 1/88:
Bei Inhalation erfolgt eine sofortige Resorption über die Lunge, nach Verschlucken eine rasche
Resorption über den Magen-Darm-Trakt. Nach Aufnahme geringer Mengen ist Schwefelwasserstoff relativ harmlos,
weil er sofort zu Sulfat und Thiosulfat oxidiert und über die Nieren ausgeschieden wird (Hurwitz,
Taylor 1954; Gleason, Gosselin, Hodge, Smith, 1969; Adelson, Sunshine, 1966). Ein verschwindend
geringer Prozentsatz von freiem H 2S wird in Sulfide und Polysulfide übergeführt und ebenfalls über
die Nieren aus- geschieden (Patty, 1967). Auch die Disulfidbindungen tragen in vivo zu keiner
nennenswerten Entgiftung bei (Smith, 1967). Es findet keine Kumulation statt. Es tritt eine Azidose mit Basendefizit auf
(Stine, Slos- berg, Beacham, 1976).
Hoppe-Seyler beschrieb 1863 erstmalig die Entstehung von Sulfhämoglobin.
Bei schweren Vergiftungen tritt die systemische Wirkung durch das freie unveränderte Gas ein, das
durch den Entgiftungsmechanismus nicht mehr erfaßt werden konnte (Haggard, 1925). Nur bei sehr
schweren, letztlich letal verlaufenden Vergiftungen läßt sich im lebenden Organismus das
Reaktionsprodukt von Schwefelwasserstoff und Hämoglobin, Verdoglobin S, nachweisen. Die
Möglichkeit der Sulfhämoglobin- bindung ist wahrscheinlich eine Frage der Konzentration. Bei
Tieren, die durch sehr hohe H2S-Konzentrationen tödlich vergiftet wurden, hat Meyer schon 1898 in allen Stadien der Vergiftung Sulfhämoglobin noch bei Lebzeiten nachgewiesen.
Die Affinität des Schwefelwasserstoffs zum Methämoglobin bei Bildung von Sulfmethämoglobin ist
stärker als zur Zytochromoxidase (Ahlburg, 1951; Haggard, 1925), so daß diese nach einer künstlich
erzeug- ten Methämoglobinämie wieder frei wird. Postmoral entsteht eine massive Sulfhämoglobinämie,
die auch die grün-graue Zyanose hervorruft (Adelson, Sunshine, 1966; Evelyn, Malloy, 1938; McCabe, Clayton 1952).
Die Ausatmung von H2S, erkennbar an dem typischen Geruch fauler Eier in der Ausatmungsluft, ist
eben falls bei einer schweren akuten Schwefelwasserstoffvergiftung zu finden (Arena, 1970). Bei
leichten Vergif- tungen (500 ppm) steht eine lokale Reizwirkung im Vordergrund, bei schweren
Vergiftungen eine Enzymgiftwirkung (Demaret, Fialaire, 1974).
Die lokale Reiz Wirkung von Schwefelwasserstoff ist nach Haggard (1925) und Erhardt (1961) auf die
Ent- stehung von Natriumsulfid aus dem Gewebsalkali zurückzuführen.
Bei der Inhalation hoher Dosen von H2S (800-1000 ppm) steht wie bei der Blausäurevergiftung die
Blok- kade der Zytochromoxidase, des Warburg'schen Atmungsferments im Vordergrund (Jung, 1940;
Erhardt, 1961; Siegenthaler, 1973). Pohl hat dies 1887 zum ersten Mal beschrieben. Ermöglicht wird die
Inaktivie rung der Atmungskette durch eine Kpmplexbildung zwischen dem toxischen
Schwefelwasserstoffanion (HS-) und dem dreiwertigen Eisen der Zytochromoxidase. Die so entstehende
Unterbrechung in der Elek- tronenübertragung der Atmungskette bewirkt die Blockierung der inneren
Zellatmung, es kommt zu einer
»inneren Erstickung«. Experimentell konnte die Hemmwirkung über einen signifikanten Aktivitätsabfall der NADPH2-Diaphorase der Herzmuskelfasern nachgewiesen werden (Kosmider, Rogala, Pacholek, 1966).
Auch eine deutliche Verminderung des Serumeiweißes, besonders des y-Globulins als Folge einer
Resynthesestörung, nach Blockade der Zytochromoxidase wurde von diesen Autoren experimentell nach
Vergif- tungen mit H 2S beobachtet.
Auch fanden sie eine Hemmung der Glutathion-Reduktase, eine Erhöhung des anorganischen Phosphors
und Calciums im Blutserum, eine Erniedrigung der alkalischen Phosphatase, von Eisen und Magnesium,
dessen Substitution sie empfehlen.
Der in der Lunge sehr rasch resorbierte Schwefelwasserstoff ruft ab einer Dosis von etwa 1000-1400
ppm eine schwere akute Vergiftung mit apoplektiformem Verlauf hervor. Der Vergiftete fällt wie vom
Schlag getroffen bewußtlos um. In seiner tiefen Bewußtlosigkeit ist der Vergiftete sehr erregt, hat
Atemstörungen ist zyanotisch und zeigt bisweilen Krämpfe. Aber ebenso kann eine sofortige
Atemlähmung eintreten, die nach einigen Minuten unter Krämpfen zum Herzstillstand führt (Demaret,
Fialaire, 1974).
Wie bei der Blausäurevergiftung werden auch bei der Schwefelwasserstoffvergiftung als Folge der
Hypoxie die Organe mit der niedrigsten Sauerstoffzufuhr geschädigt, das Zentralnervensystem und das
Herz. Bei einer schweren Vergiftung kann augenblicklich durch den Carotissinusreflex das
Atemzentrum gelähmt werden (Adelson, Sunshine, 1966). Der Atemstillstand führt nach einigen
Minuten zum anoxischen Herztod.